Sommer 2006 – das Schuljahr ist gerade zu Ende, zuhause steht der erste eigene Laptop auf dem Schreibtisch, und daneben liegt eine CD-Hülle. Auf dem Coverbild misst sich ein Spartaner mit einer wild angreifenden Hydra. Ein sehnlich erwarteter Moment.
Es gibt Spiele, mit denen verbindet man Kindheitserinnerungen – Titan Quest ist für mich eines davon. Stunden, Tage, Wochen habe ich in der Suchtspirale verbracht, im ewigen “Neues Item – muss aufleveln – kann tragen – neues Item – muss aufleveln…”, das Spiele wie die Diablo-Reihe und eben Titan Quest so fesselnd macht. Und beim antiken Geschnetzel in Griechenland, Ägypten und dem fernen Osten passte einfach alles.
Leider ging die Monsterhatz gemeinsam mit Publisher THQ den Bach runter. Und während das Spielprinzip mit dem neu formierten Team von Crate Entertainment – das zu großen Teilen aus Ex-Entwicklern von TQ-Macher Iron Lore bestand – in Grim Dawn weiterlebte, wurde es still um die Götter-und-Titanen-Klopperei.
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Götter, erwachet
Bis 2017 praktisch ohne Vorwarnung ein neues DLC landete. Mehr als zehn Jahre nach der ersten Erweiterung Immortal Throne hauchte Ragnarök dem mittlerweile zum Geheimtipp unter den Hack’n’Slay-Klassikern gewordenen Titan Quest noch einmal neues Leben ein – und was für eines.
Zuerst die Feststellung: Trotz seiner mittlerweile elf Jahre ist Titan Quest erstaunlich gut gealtert. Gut, THQ Nordic (der aus den Ruinen von THQ erwachsene neue Publisher) hat in der Anniversary Edition noch ein wenig an der Grafik geschraubt.
Aber dennoch sieht Titan Quest: Ragnarök durchaus noch herzeigbar aus. Das liegt vor allem an der stimmigen Präsentation – die Spielwelt ist detailverliebt gestaltet, die Effekte bei den zahlreichen Zaubern und Spezialattacken waren 2006 herausragend und sind auch 2017 immer noch ansehnlich.
Auch die gelungene Soundkulisse lässt einen das Alter des Grundgerüsts rasch vergessen. Die Musik ist stimmig, die deutsche Vertonung ebenso, die englische Originalvertonung liegt sogar noch eine Stufe darüber. Einziger Kritikpunkt: Die – erstmals in Titan Quest eingeführten – menschlichen Gegner wiederholen sich sehr schnell, das stört die Immersion ein wenig. Und manche Soundeffekte wirken dann doch schon etwas in die Jahre gekommen.
Was mach ich hier?
Die große Schwäche des Originalspiels hat Ragnarök leider ebenso geerbt. Nicht nur, dass unser eigener – wenig gesprächiger – Protagonist mehr ein Werkzeug der Monstervernichtung denn ein echter Charakter ist, auch die Nebenfiguren bleiben blass. Die storyrelevanten Monologe (Antworten gibt unser Protagonist nämlich nie) lassen sich überspringen, wirklich fesselnd inszeniert sind sie selten.
So kommt gelegentlich auch Verwirrung auf. An einigen Stellen läuft der Spieler durchaus Gefahr, sich zu verlaufen. Und manche Abschnitte sind mangels packender Story einfach nur monotones Banditen-Abschlachten – hier wird Ragnarök vom saftigen Wildschweinbraten rasch zum zähen Dörrfleisch.
Ganz allgemein leidet Titan Quest an einem latenten Gefühl der Bedeutungslosigkeit. Egal, welchen Titanen oder Gott wir niederknüppeln, mehr als eine Textbox und eine körperlose göttliche Stimme kriegen wir nicht als Belohnung. Das ist nicht weiter schlimm, schließlich sind Loot und Levelaufstiege als Selbstzweck immer noch Belohnung genug, aber es gäbe hier durchaus Raum für etwas packendere Inszenierung – Klassenprimus Diablo 3 macht das mit seinen Zwischensequenzen doch deutlich besser.
Vom Teutoburger Wald zum Weltenbaum
Was Ragnarök dafür wie auch das Hauptspiel und Immortal Throne hervorragend macht, ist die Einflechtung der Mythologie. An allen Ecken und Enden treffen wir auf aus Legenden und Geschichten bekannte Figuren, die zwar weniger Wiedererkennungswert haben als die griechischen Helden, für Liebhaber nordischer Mythen aber trotzdem schön zu sehen sind.
Und: Am Rand der Hauptstory können wir wieder Geschichtenerzählern lauschen, wenn sie uns Lektionen über die Götterwelt et cetera erteilen. Das macht uns die Reise von den germanischen Siedlungen rund um den Teutoburger Wald quer durch den Weltenbaum Yggdrasil bis hin zur Götterfestung Asgard noch ein Stückchen stimmiger.
Gepaart mit der stimmigen Grafik, guten Soundkulisse und dem idiotensicheren Konzept – dem eingangs erwähnten “Neues Item – muss aufleveln – kann tragen – neues Item – muss aufleveln…” fügt sich der neue fünfte Akt nahtlos ins Titan–Quest-Erlebnis ein. Und hat man die göttlichen Probleme auf normalem Schwierigkeitsgrad bereinigt, darf man in den höheren Stufen “Episch” und “Legendär” gleich nochmal von vorne anfangen.
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